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Gnadenkapelle

Geschichte

Evangelische Gnadenkapelle zum Heilsbronnen

Kaffee, Tischtennis und individuelle Besinnlichkeit

Die Gnadenkapelle hat in 60 Jahren schon einiges gesehen Es muss schon ein ganz besonderer Tag gewesen sein, jener 5. Oktober 1952. An diesem Sonntag konnten die Evangelischen aus Sassenberg, Füchtorf, Greffen und damals auch noch Milte nicht nur für die gelungene Ernte danken (die zumeist nicht die eigene, sondern die heimischer, katholischer Bauern war). Endlich hatte die noch junge Gemeinde, die überwiegend aus Heimatvertriebenen und Flüchtlingen bestand, eine eigene Heimstatt: nach nur einjähriger Bauzeit wurde die Gnadenkapelle in Sassenberg feierlich eingeweiht. Genau 60 Jahre ist das jetzt her.

 

Pfarrer Lackner lässt nicht locker

Die Zeiten unmittelbar nach dem Krieg waren hart gewesen, aber es war dem engagierten Pastor Erich Lackner, ehemaliger Pfarrer in Königsberg/Ostpreußen, gelungen, in Warendorfs Norden eine rührige kleine Gemeinde zu sammeln. Was fehlte, waren eigene Räume. Gottesdienste fanden in Klassenräumen oder in der katholischen Kirche statt. Der Wunsch nach einem eigenen Versammlungsraum für das aufkeimende Gemeindeleben wuchs.

 

Da kam Anfang der 50er Jahre mit dem „Diaspora-Bauplan“ der Landeskirche ein verlockendes Angebot. Der Bau preiswerter Kirchen sollte unterstützt werden, berichtet Winfried Böttcher, ehemaliger Pfarrer in Sassenberg. Es gab eine Art Masterplan für die Gotteshäuser, der die Planungskosten gering hielt. „Darum sehen sich unsere Kirche und die in Freckenhorst und Everswinkel auch ähnlich“, schmunzelt Böttcher.
Die Stadt Sassenberg, insbesondere Amtsdirektor Storp, unterstützte die Evangelischen und kaufte Frau Ottmann ihren Grund und Boden hinter der Amtsverwaltung ab. Die Gemeinde erhielt das Grundstück zunächst in Erbpacht, erst viel später konnte sie es dann auch kaufen.
Mit 5000 Mark Grundkapital und vor allem der Verpflichtung, umfangreiche Hand- und Spanndienste zu leisten, begann im Spätsommer 1951 der Bau.

In feierlicher Prozession zur eigenen Kirche

Auf den Bildern von der Einweihung ist zu sehen, mit wie viel Liebe die Gemeinde ihre neue Kirche ein Jahr später zur Einweihung geschmückt hatte. Fahnen flatterten, ein Kranz schmückte den Eingang. Nach einer Andacht in der katholischen Kirche zog die Festgemeinde in einer feierlichen Prozession zum eigenen Gotteshaus, berichtet die „Glocke“ am 7. Oktober 1952 vom Kirchweihfest. Oberkirchenrat Niemann hielt die Festpredigt. Bei Grothus ließ die Gemeinde dieses besondere Erntedankfest mit einem großen Fest ausklingen.

Katholische Beihilfe

Die Gemeinde hatte aber auch Grund froh und dankbar zu sein. Von vielen Seiten war Unterstützung gekommen, auch von katholischer. So finden sich katholische Namen in der Liste der Spender, aber auch der katholische Pfarrer musste ran: Als es daran ging die Steine mit dem eingemeißelten „Sola fide“ über dem Eingang zu verbauen, fühlten sich die Bauarbeiter reichlich überfordert: In welche Reihenfolge gehörten die fremdsprachigen Wortblöcke? Da Pastor Lackner nicht greifbar war, wandten sie sich an den katholischen Pastor, der bei der richtigen Zusammensetzung der reformatorischen Kernthese bereitwillig aushalf.

Nah am Wasser

Den etwas sperrigen Namen der Kirche „Evangelische Gnadenkapelle zum Heilsbronnen“ hatte Pfarrer Lackner in Erinnerung an seine Wirkungsstätte in Königsberg gewählt (diese „größere Schwester“ hieß allerdings „Kirche“). Der Wandspruch über dem Taufbecken – „Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle“ (Psalm 65, Vers 4) – nimmt den Namen wieder auf. Das Holzkreuz an der selben Wand, spendeten die am Bau beteiligten Handwerker.
Auch die Beleuchtung hatte ursprünglich etwas mit Wasser zu tun: Der sechsarmige Holzleuchter, der die Kirche eher schlecht als recht ausleuchtete, war einem Schiff nachempfunden. „Der Leuchter war etwas zu klein für den Raum, darum war es immer etwas dunkel“, erinnert sich Erika Scholz, langjährige Küsterin der Kirche. Durch eine großzügige Spende Ende der siebziger Jahre konnten die heutigen Glaskugelleuchter gekauft werden. Sie sind viel heller, „dafür mussten wir zweimal im Jahr auf die Leiter, um sie ordentlich putzen zu können“, lacht Scholz.

 

Weil das Geld knapp war, wurde nicht nur beim Bau, sondern auch bei der Einrichtung nach eigenen Ressourcen gesucht. So waren Altarbehänge und Antependien von Frauen der Frauenhilfe der Gemeinde selbst angefertigt.

 

Kunst vom Nachtschrank

Auch die Schnitzarbeiten an der Kanzel stammen „aus eigenen Reihen“. Die Darstellung der Evangelisten hat Klaus Ring geschaffen. Das besondere daran: Der Künstler war damals selbst noch Schüler am Warendorfer Laurentianum. Über seine Mutter Karoline, die jahrelang Flüchtlingshelferin in der Gemeinde war, kannte Pfarrer Lackner sein Talent und bat um Entwürfe. Ring erinnert sich noch gut an seine primitiven Arbeitsbedingungen. Die Lindenholzplatten, aus denen er die Symbole schnitzte, hatte er in Ermangelung einer Werkbank mit Schraubzwingen an einem alten Nachtschrank befestigt. Dass die Kunstwerke nach Eiche aussehen, verdanken sie der Beize, die die ganze Kanzel nach der Montage erhielt.

Der gläserne Zeppelin

Die Gemeinde war dankbar für ihre Kirche, aber auch nicht unkritisch: das Glasfenster über dem Altar, das Jesus mit Symbolen des Alten und des Neuen Testaments zeigt, erschien vielen- obwohl das künstlerisch wertvollste Stück – als zu modern. Die Darstellung des Heiligenscheins wurde heimlich als „Zeppelin“ verspottet. Heute verschwindet der ein wenig im Schatten, seit vor wenigen Monaten von außen ein Isolierfenster angebracht wurde, um Glasfenster und Wand vor Witterungseinflüssen zu schützen.

Ein Kruzifix auf Wanderschaft

Das Bronzekreuz mit Bergkristall, auf das die Gottesdienstbesucher heute schauen, hat die Einweihung nicht miterlebt. Die Stadt Sassenberg hat es der Gemeinde zum 25. Jubiläum geschenkt. Zur Einweihung schmückte ein Kruzifix den Altar; das später in die Sakristei wanderte. Seit den neunziger Jahren schauten die Gottesdienstbesucher im Immanuel-Haus darauf, ehe es nach Schließung des Hauses in diesen Tagen in die Kirche zurückgekehrt ist.

„Evangelische Gnadenkapelle zum Heilsbronnen“, so lautet der offizielle, vielleicht etwas sperrige Name der kleinen evangelischen Kirche in Sassenberg; Gnadenkirche, evangelischen Kirche oder einfach Kleine Kirche – im Unterschied zu der ortsbeherrschenden, katholischen Kirche Johannes Evangelist – so nennt sie der Volksmund.

 

Kirchenleben im Wandel

Die Gnadenkapelle hat sich in den vergangenen 60 Jahren so verändert, wie sich die Gemeinde verändert hat. Anfangs war die Kirche einziger Raum überhaupt. Wollte die Gemeinde feiern, wurden die Kirchenbänke herausgeräumt, um Platz für Tische und Stühle zu machen. (Die Kirchenbänke sind daher auch aus leichtem Holz.) Jede Form der Gemeinschaft, ob Gottesdienst, Feier oder Gruppenstunde wurde in der Kirche gelebt.


Erst später erhielt die Kirche für Gemeindeveranstaltungen einen kleinen, noch einmal erweiterten Anbau. Die Jugend blieb jedoch noch lange in der Kirche. Sie hatte Platz auf der Empore gefunden, die irgendwann eine klappbare Holzwand zum Kirchenraum hin erhielt. Eine Tischtennisplatte sorgte jahrelang für Entspannung nach dem Konfirmandenunterricht.
Der Bau der Gemeindehäuser machte Schluss mit dem Platzmangel der Gemeinde. Mit wenigen Ausnahmen ist die Gnadenkirche heute vollständig dem Gottesdienst und der Andacht gewidmet.


Als der Farbanstrich 2010 erneuert wurde, erhielt der Kirchenraum eine frischere Innenfarbe: Die Kontrastfarbe wechselte von dunkelbraun in ein helles taubenblau. Deckenstrahler sorgen für gute Ausleuchtung. Eine digitale Orgel hat das Holzinstrument von 1954 ersetzt, in dem sich der Holzwurm eingenistet hatte. Zum Gemeindefest 2009 kam die Idee auf, in der Kirche die Gelegenheit anzubieten, Fürbitten niederzuschreiben und eine Kerze anzuzünden. Inzwischen ist daraus eine feste Einrichtung mit einem eigenen Tisch geworden. In der Passions- und Adventszeit sorgen Ehrenamtliche dafür, dass die Kirche tagsüber offen ist und zur Besinnung einlädt. (UvB)
„Der Gute Hirte“ Ausgabe 4/2012